
Das Produkt in die richtige Bahn lenken – über den Nutzen von Vertriebsverträgen
Das beste Produkt führt ein Startup nicht zum Reichtum, wenn es den Kunden nicht erreicht. Gute Vertriebsverträge können helfen, Strukturen im Startup selbst und beim Anbieten der Leistungen zu schaffen. Sie können den Absatz erleichtern und das Startup sichern.
Was ist unter einem Vertriebsvertrag zu verstehen?
Legt man ein breites Verständnis eines Vertriebsvertrags an und versteht man darunter alle Verträge, die der Verbreitung der eigenen Leistungen dienen, kommen eine Reihe verschiedener Vertragstypen in Betracht, angefangen von den klassischen Kunden-AGB eines E-Commerce-Shops oder den AGB eines Cloud-Anbieters, über Verträge mit Zwischenhändlern bis zu Handelsvertreterverträgen. Um zu entscheiden, ob und welche Verträge ein Startup benötigt, sollte man sich mindestens die Antworten auf die nachfolgenden Fragen – in dieser oder abgewandelter Reihenfolge – überlegen.
Frage 1: wer ist mein Kunde?
Es ist nicht nur für den Businessplan oder den Pitch bei Investoren wichtig, zu wissen, wer das Produkt kaufen soll, sondern auch aus juristischer Sicht. Vorrangig spielt dabei eine Rolle, ob sich ein Startup an Verbraucher oder an Unternehmer wendet. Beide Gruppen unterscheiden sich wesentlich, wenn es um die rechtlichen Anforderungen geht, die man erfüllen muss.
Wendet man sich an Verbraucher, müssen oft eine Vielzahl von gesetzlichen Informationspflichten erfüllt werden. Der Spielraum für vertragliche Regelungen ist gegenüber Verbrauchern im Vergleich zu Unternehmern deutlich geringer, z.B. wenn es um die Beschränkung von Gewährleistungsrechten geht.
Sich lediglich auf bestimmte Kundenkreise zu fokussieren reicht rechtlich nicht aus, um manche der gesetzlichen Erleichterungen für diese Zielgruppe zu genießen. Es ist bekannt, dass beim Einkaufen in der Metro eine Karte vorgezeigt werden muss, die einen als Unternehmer ausweist. Soll z.B. ein Webshop ausschließlich für Unternehmer betrieben werden, muss man entsprechende Anforderungen erfüllen.
Frage 2: und wenn ja, wie viele?
Die Frage, wie groß die Zielgruppe ist, hat entscheidende Bedeutung für die Wahl von Verträgen. Spricht man eine Vielzahl von Kunden an, eignen sich formelle Prozesse und standardisierte Verträge, d.h. „klassische“ AGB. Diese helfen, Verhandlungsaufwand gering zu halten und Prozesse schnell abzuwickeln.
Arbeitet man nur mit wenigen Kunden zusammen, kann es sich lohnen, mit einem einmal erarbeiteten Grundgerüst zu arbeiten, das individuell für jeden Kunden angepasst wird. Dabei kann man Kundenwünsche und individuelle Fallgestaltungen besser berücksichtigen.
Manchmal ist auch ein Mix die richtige Lösung. Agenturen arbeiten z.B. häufig mit einem Set von AGB als Rahmenvertrag, die durch individuelle Einzelverträge ergänzt werden. Mit dem Kunden müssen dann nur spezielle Fragen eines Projektes, nicht aber allgemeine Regelungen verhandelt werden. Idealerweise können die Startups die speziellen Fragen selbst klären und sparen so weiteren Aufwand beim Anwalt.
Frage 3: wie komme ich an meine Kunden?
Die Wahl und Gestaltung des Vertrags hängt außerdem davon ab, wo das Startup seine Kunden antrifft. Wenn die Kunden direkt beim Startup kaufen, landet man wieder bei Frage 1 und 2. Möchte das Startup sein Produkt hingegen über Dritte verkaufen, muss es genau schauen, welche Vertriebskanäle bedient werden sollen. Ist das Produkt z.B. ein neues Gadget, das klassischerweise über den Einzelhandel vertrieben wird, sollte man schauen, ob bestimmte Distributoren als Verteilstellen oder bestimmte Vertreter im Einzelhandel direkt eingeschaltet werden. Ohne eigene Vertriebsabteilung, kann es sich lohnen, selbständige Handelsvertreter zu beauftragen, die auf Provisionsbasis arbeiten.
Frage 4: wer bin ich?
Vertriebsverträge treffen auch immer eine Aussage über das Startup selbst. Beschränkungen von Käufer- bzw. Wiederverkäuferkreisen prägen das Bild des Startups. Soll das neue Gadget z.B. überall erhältlich sein oder nur in bestimmten Geschäften als Exklusivprodukt? Sollen Dritte, die das Produkt verkaufen, besondere Vorgaben bei der Werbung einhalten?
Die Verträge treffen außerdem eine Aussage über das (Vertrauens-)Verhältnis zwischen Startup und Kunde. Benötigt das Startup z.B. die Mitwirkung eines Kunden oder sollen bestimmte Prozesse eingehalten werden, können in den AGB genaue Vorgaben getroffen werden. Vertraut man hingegen darauf, dass man mit dem Kunden alle Angelegenheiten auf dem kurzen Dienstweg geregelt bekommt, kann möglicherweise auf größere Verträge verzichtet werden.
Frage 5: show me the money!
Am Ende des Tages wünscht sich jedes Startup eine schwarze Zahl. Verträge können helfen, dieses Ziel zu erreichen. Idealerweise hat der Vertrag eine gute Balance zwischen einem einfachen Vertragsschluss, sprich wenig Hindernisse, an denen sich der Kunde stört, und einer guten Absicherung des Startups. Damit meinen wir nicht nur die Beschränkung von Haftungsrisiken, sondern auch die Absicherung von Investitionen und zukünftigen Einnahmen. Bietet das Startup eine Software als Cloud-Lösung an, können hohe Aufwände bei Beginn einer Zusammenarbeit über feste Laufzeiten von Verträgen und automatische Vertragsverlängerungen ausgeglichen werden. Verkauft das Startup tatsächlich ein großartiges neues Gadget und hat sich exklusiv an einen Vertriebspartner gebunden, sollten Mindestabnahmeverpflichtungen vereinbart und eine schnelle Lösung vom Vertrag möglich sein, wenn diese nicht erreicht werden.
Frage 6: brauche ich wirklich einen Anwalt?
Wenn Ihr uns fragt: natürlich! Startups haben – mit gutem Grund – ihren Fokus zunächst meist auf wirtschaftlichen oder technischen Themen. Einige der Fragen, z.B. nach der Zielgruppe, stellen sich im ersten Moment eher aus betriebswirtschaftlicher als aus juristischer Sicht. Die Einbeziehung eines Juristen kann aber helfen, von vornherein klare Strukturen zu schaffen und im Ergebnis Aufwände zu vermeiden, die z.B. entstehen, wenn Ihr nachträglich Verträge anpassen müsst, weil bestimmte Vorhaben oder Prozesse sich nicht realisieren lassen.